top of page

Mettler & Brunegg

Zwei junge Männer. Eine Begegnung, die mehr war als Zufall.
Zwischen Erfindung, Vertrauen und Verlust entstand etwas, das blieb –
auch wenn niemand mehr genau weiß, wie es wirklich begann.

Bild 22_edited.jpg

Geschichte 

Ein altes, vergilbtes Foto, vermutlich um 1910 aufgenommen. Links steht Mettler, ruhig und wach. Rechts Brunegg, mit ernstem Blick, als wäre er schon bei der nächsten Idee. Wo es entstand, weiß niemand. Es ist das einzige bekannte Bild der beiden – und vielleicht gerade deshalb so bedeutend.

Ob sie sich wirklich so zugetragen hat, wie man es sich erzählt, weiß heute niemand mehr mit Sicherheit. Aber was man weiß, ist, dass die Haltung, die aus dieser Geschichte spricht, echt ist. Sie ist überliefert worden, nicht in Urkunden, sondern in Worten, in Gesprächen, im Tonfall jener, die sie weitererzählen. Und vielleicht ist das am Ende das Wertvollste.

Mettler wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert in eine alteingesessene Händlerfamilie nahe Basel geboren. Sein Vater war Lebensmittelkaufmann – jemand, der wusste, wie man ein ehrliches Geschäft führt, mit Mehl, Salz, Zucker, einfachen Dingen, die Menschen brauchen. Mettler wuchs in diesem Geschäft auf, lernte das Handeln von klein auf, das Abwiegen, das Verhandeln, das Zuhören. Aber während sein Vater in den alten Gewohnheiten Sicherheit fand, sehnte sich der junge Mettler nach mehr. Es war nicht das Kaufmännische, das ihn langweilte – es war die Wiederholung. Tag ein, Tag aus. Die gleichen Fragen. Die gleichen Preise. Die gleichen Säcke mit Mehl.

Der Legende nach war es ein Zufall, der alles veränderte. Ein langjähriger Großkunde der Familie – eine große Bäckereikette – plante ein neues Werk. Mettler war gerade einmal Anfang zwanzig, als er seinen Vater bat, ihn bei der Besichtigung begleiten zu dürfen. „Ich will nur sehen“, soll er gesagt haben. Was er sah, war der Beginn seiner Zukunft. Dampfräder, Förderanlagen, große Pläne auf grobem Papier. Maschinen, Bewegung, Fortschritt. Und mittendrin stand ein junger Mann, etwa in seinem Alter, mit ölverschmierten Händen und ruhigem Blick – Brunegg.

Brunegg stammte aus einer Maschinenbauerfamilie im Raum Zürich. Ein Tüftler durch und durch. Während andere Kinder draußen spielten, zeichnete er Zahnräder. Sein Vater war ein strenger Mann, der wenig sagte und noch weniger lobte. Ein Mann, der Ergebnisse forderte, keine Träumereien. Brunegg war ein stiller Junge, aber einer mit einem tiefen inneren Feuer. Er wollte mehr aus Maschinen herausholen – sie besser machen, präziser, effizienter. Und obwohl sein Vater ihn oft zurückpfiff, arbeitete er heimlich an seinen Ideen weiter.

Mettler und Brunegg trafen sich auf der Baustelle des neuen Werks. Zwei junge Männer aus verschiedenen Welten, aber mit einem gemeinsamen Instinkt: Sie erkannten sofort das Potential im jeweils anderen. Mettler, der Verkäufer, der Menschen verstand. Brunegg, der Entwickler, der Maschinen verstand. Gemeinsam entschieden sie, an der Ausschreibung für die Bäckereianlage teilzunehmen – nicht mit Standardkatalogen, sondern mit einer völlig neuen Idee. Brunegg entwickelte in wenigen Wochen eine Maschine, die es ermöglichte, die dreifache Menge Brot in der halben Zeit zu backen. Er kombinierte Mechanik mit Automatisierung, eine Innovation, die ihrer Zeit voraus war. Aber sie war noch nie getestet worden.

Der schwierigste Teil kam nun: Brunegg musste seinen Vater überzeugen, dass sie mit dieser Maschine an einer öffentlichen Ausschreibung teilnehmen sollten. Der alte Brunegg tobte. Er sprach von Verantwortung, von Ruf, von der Gefahr, sich lächerlich zu machen. „Was, wenn sie nach zwei Monaten stillsteht?“ soll er gesagt haben. „Was, wenn du uns ruinierst mit deiner Idee?“ Und da trat Mettler auf. In feinem Anzug, mit Aktenmappe in der Hand, stellte er sich dem Vater vor. Ruhig, bestimmt. Er sprach nicht über Zahnräder oder Pläne – er sprach über Chancen. Über Ansehen. Über den Fortschritt, der auf Mut angewiesen ist. Und irgendwann, so heißt es, sagte der Vater den Satz, der alles veränderte: „Ich bürge für dich. Ich hoffe, du weißt, was das heißt.“

Sie gewannen die Ausschreibung. Die Maschine funktionierte einwandfrei. Die Produktion wurde revolutioniert. Was folgte, war eine Kettenreaktion: Mettler wandelte das elterliche Geschäft in einen erfolgreichen Industriewarenhandel um. Er verstand es, Kunden nicht nur zu bedienen, sondern zu begleiten. Und Brunegg? Er übernahm die Werkstatt seines Vaters, entwickelte sie weiter, arbeitete Tag und Nacht, meldete Dutzende Patente an. Seine Verfahren beeinflussten die gesamte Branche.

Aber das Leben nimmt nicht immer den geraden Weg. Der Zweite Weltkrieg brach aus. Der Außenhandel kam zum Erliegen. Mettler, der gerade auf einer Reise nach Stuttgart war, verunglückte tödlich. Die Nachricht erschütterte Brunegg zutiefst. Zwei Wochen sprach er mit niemandem. Dann verkaufte er seine Firma, seine Patente, zog sich zurück. Man sagt, er habe nie wieder eine Maschine gebaut.

Was geblieben ist, ist keine Firma im klassischen Sinn. Es ist ein Gedanke. Eine Haltung. Die Überzeugung, dass Fortschritt dort entsteht, wo technisches Denken und kaufmännisches Verständnis zusammenkommen. Dass man nur dann wirklich gut ist, wenn man den Mut hat, das Bessere zu versuchen. Dass man Prozesse nicht annimmt, sondern gestaltet. Dass man Verantwortung nicht fürchtet, sondern trägt.

Das ist es, was Mettler & Brunegg ausmacht. Damals wie heute. Und vielleicht liegt genau darin ihr Vermächtnis.

bottom of page